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AltersBar

September 4th, 2021

9/4/2021

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Hoch über den Wolken

Frau A, eine studierte Gymnasiallehrerin, 92 Jahre alt, entscheidet sich , nachdem sie 7 verschiedene Alters- und Pflegeheime besichtigt hat, definitiv bei uns einzuziehen.

3 Jahre verbringt sie bei uns, fällt auf durch ihre ausgesprochene Höflichkeit, ist fast immer gut gelaunt, perfekt gestylt und unauffällig hübsch geschminkt. Sie trägt stets hübschen, passenden Schmuck. Täglich findet sie einen Grund, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu loben, ist begeistert vom Essen und immer wieder zu einem Gespräch oder Spass zu haben.

Dann bekomme ich eines Tages die Meldung von meiner Sekretärin, dass Frau A, innerhalb einer Woche, für über Fr. 600.00 telefoniert hat. Ich melde mich bei ihr und frage, ob sie aus Versehen auf gebührenpflichtige Nummern telefoniert habe. «Nein, ich rufe alle meine Freunde und Freundinnen in der ganzen Welt an, um mich von ihnen zu verbschieden, denn ich werde bald sterben. Ich fühle das.» An ihrer guten Stimmung ändert sich aber nichts und sie erscheint, wie bisher, täglich zu den Essenszeiten und ihr Aussehen verändert sich überhaupt nicht. Nach drei Wochen erscheint sie am Donnerstag nicht im Essraum und auch nicht in der Gartenhalle.

Das Essen wird ihr aufs Zimmer gebracht. Am Freitag beschliesse ich, sie vor dem Wochenende noch kurz auf ihrem Zimmer zu besuchen und mich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie ist im Gespräch mit einer Freundin und bittet mich, doch zwei Minuten zu warten. Sie verabschiedet sich von ihrer Freundin, die Tränen in den Augen hat.

Wir beginnen unser Gespräch über das Leben und den Tod. Sie ist fröhlich und gut aufgelegt und plötzlich sagt sie zu mir:» das Einzige was ich bedaure ist, dass sie mir nicht begegnet sind, als ich 60 Jahre alt war. Ich hätte sie verführt und bin überzeugt, dass sie mir nicht hätten widerstehen können.» Dazu lächelt sie voller Überzeugung. Auf meine Frage, warum sie eigentlich nie geheiratet habe, entgegnet sie mir:» warum hätte ich mich mit einem Mann zufriedengeben sollen, wenn ich doch so viele interessante Männer kennengelernt habe». Dazu strahlt sie über das ganze Gesicht.

Die Unterhaltung zieht sich dahin, ist lustig und interessant. Nach ca. 1 ½ Stunden verabschiede ich mich von ihr und teile ihr mit, dass ich sie am Montagmorgen wieder besuchen werde. «Das wird leider nicht mehr möglich sein. Ich bedanke mich für die Zeit, die sie mir geschenkt haben und, wenn ich dann irgendwo da oben bin, dann werde ich meine schützende Hand über sie halten. Leben sie wohl». Fünf Stunden später, um Mitternacht, läutet sie bei der Nachtwache und bittet diese, doch die letzten 10 Minuten ihres Lebens bei ihr zu bleiben und ihre Hand zu halten. Dann ist sie eingeschlafen und nicht mehr erwacht.

Ein Jahr später bin ich an einem nasophalen Karzinom erkrankt. Während meiner 33 Bestrahlungen  und den 5 Chemotherapien habe ich oft das Gefühl gehabt, dass Frau A. tatsächlich in der Nähe ist und ihre schützende Hand über mich hält.
​
​Walter Winteler, Zürich






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