Ein typischer Corona-Tag …oder Überlebenskünstler sind gefragt Ja, die Alten haben’s schön. Nicht mehr arbeiten, keine Sorgen mehr, Lohn gesichert, Kinder fort. Zahnarzt abgeschlossen, höchstens noch in Kontakt einem Zahntechniker. Und der grösste Kollege? Der alte, vertraute Hausarzt. Man sieht sich ja ständig! Aber der Alltag? Corona-krumm, Corona-stumm, Corona-dumm. Er, das Maskuline, ein eingespielter Ehemann; sie, das Fraueli eine umsorgende Ehefrau. Corona hat die Beiden im letzten Jahr wieder enger zusammengeschweisst. In den eigenen Wänden! Sie sind nicht nur wohnhaft unter uns, sondern seit einem Jahr tatsächlich gemeinsam in einer staatlich verordneten Wohn-Haft. Ein Jahr haben sie schon abgesessen. Ihre Kanten sind zwischenzeitlich abgeschliffen. Und trotz der vermeintlichen Altersweisheit ist immer noch ein Quäntchen Konfliktpotential zu spüren. Aber zumindest der Organisationsgrad massiv gestiegen. Beide haben ihren Beitrag zur Erleichterung der harten Haftbedingungen gegen die drohende Einöde des Alltags eingebracht. Der Wochentage sind bestens organisiert: Meistens gegen 07.00 Uhr Tagwache der beiden Sträflinge und Zubereitung des Frühstücks im altersgerechten Ambiente. Storen auf Halbmast, flackerndes Kerzenlicht, gedimmte Stubenlampe, feiner Kaffeeduft und farbenprächtige Konfitüren. Gesundes Vollkornbrot, würzig-reifer Käse mit urchigen Blasen und sonntags meist Zopf oder Laugengipfeli. Plus-minus 08.00 Uhr Royal breakfast! Und immer «the same procedure as every day!»: Tea first mit einer Handvoll farbenprächtiger Tabletten, die den Blutdruck senken und das havarierte Herz taktsicherer schlagen lassen. Anschliessend Chicco d’oro! Schluck, Mampf, Schluck, Mampf. Ein paar Mal weiter so und dann, nach ca. 15 Minuten fertig! Anschliessend unter der Leitung des Familienoberhauptes (feminin) die tägliche Familienkonferenz. Thema 1: Organisation des Tages (terminierte Tätigkeiten, Einkauf, Küchendienst, Finanzielles etc.). Thema 2: Wohlbefinden (neue Symptome, neue Beeinträchtigungen, kleine Zipperlein usw.). Thema 3: Einkaufsliste des täglichen Bedarfs. Gefolgt vom Lieblingsthema: Fehl- und Misstritte von Donald Trump (leider seit 20.1.21 gestrichen!). Thema 5: Hygiene (allgemein, persönlich, Corona-spezifisch und manchmal gar geistig und moralisch). Schlusspunkt 6: Diverses und Rückkommens-Anträge. Auf ein Protokoll haben die beiden Knastis vertrauensvoll und einstimmig verzichtet. Nach Sitzungsende macht sich der bedienteste Ehemann an die Arbeit. Versorgt das Geschirr im Geschirrspüler und bildet sich dann kreuzworttechnisch weiter; währenddessen die Angetraute sich und den Haushalt hygienisch angemessen pflegt und auf Vorderfrau bringt. Die persönliche Wasser- und Seifenschrubberei des Mannsbilds kann noch etwas zuwarten, weil zuerst der Abfall entsorgt werden muss, und der Staubsauger wieder mal ein paar Runden im Keller drehen sollte. Erst dann die maskuline Grobpflege, halb solange wie die feminine Feinpflege. Gegen 09.00 Uhr Einkaufstour von Madame, ohne Soffy. Hundelos! Monsieur (mit Hund): Studium der Börsenkurse, Kurzbesuch bei Facebook und Augenschein bei www.denkbars.net. Und - wie meist - mit konzentrationsarmen, altersbedingten Bedienungsfehlern. Nach Umherirren im Laptop kann das Übel meist geortet und auch korrigiert werden. Aber der Stimmungsmief im Büro ist gewaltig und die Laune tief im Keller! Oftmals mit gleichzeitigem Eintreffen der Logistikerin. Mit überfülltem Korb und einem weissen Zettel mit budgetfremden Zahlen. «Wen hast Du gesehen? Was gibt`s Neues? Gestern hat’s geläutet! Wer ist gestorben?» und sonstige altersangehauchte, schale Fragen. Gegen 11 Uhr Hundespaziergang der Hundeführerin mit einer Kollegin und gepflegter Mise en place am Mittagstisch durch den angetrauten Hausbutler. Nach der Rückkehr der beiden Mitbewohnerinnen Dinner for three. Zuerst versorgt wird Soffy, erst danach die Herrschaften. Lady Dog mit teurem, hochwertigem Futter. Die Familienernährer begnügen sich mit viel Gemüse und ein wenig Fleisch. Und in diesem Trott es weiter; immer weiter. Man tritt Stunde für Stunde an Ort und dies, Tag für Tag. Wie in einer Tretmühle. Die Corona-Haft ist eintönig, fad und oed. Nicht nur bei uns, bei den meisten Rentnern und auch in vielen Homme-Offices. Am schlimmsten trifft es jedoch die ökonomisch Abgewürgten, die oft gar um ihre nackte Existenz bangen müssen. So haben wir uns unseren Lebensabend nicht vorgestellt. Wir erwarteten etwas Wohlstand und wollten ihn auf der Zielgraden unseres Lebens eigentlich noch geniessen? Doch was wir erleben ist kein Genuss. Das ist ein schrecklicher Verdruss. Urs Spielmann, Breitenbach
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